Die Prinzessin und die Türe

Realitätsbewältigung

Es war einmal ein Mädchen, das mit seiner Mutter und seiner Großmutter in einem kleinen Haus in einem kleinen Dorf wohnte, bis eines Tages ein Drache das kleine Dorf angriff und versuchte es bis auf die Grundmauern niederzubrennen. Den feuerspeienden Drachen entkam das Mädchen nur mithilfe eines zauberhaften Schlüssels, den es am selben Tage von seiner Mutter bekommen hatte.

»Einmal wohnten wir in einem anderen Dorf«, hat seine Mutter dem Mädchen erzählt. »Dort war Großmutti Königin, und wir wohnten in einem großen Schloss«. Das Mädchen war hocherfreut zu lernen, dass es eine Prinzessin war. »Großmutti hatte nicht genug Zeit, ihre Krone mitzunehmen, als sie das Schloss verlassen musste«, erklärte seine Mutter. »Sie hatte aber…ihren Schlüssel«.

Bevor das Drachenfeuer das Mädchen treffen konnte, erschien plötzlich eine schimmernde Tür. Mit dem kleinen Schlüssel öffnete es die Tür und ging im letzten Augenblick durch sie. Sofort fand es sich mit dem Gesicht nach unten liegend im Sand. Vorsichtig, benommen, stand es auf und drehte sich um, in die Ferne blickend. So weit der Blick reicht war nichts zu sehen und nichts zu erkennen. Nur Wüste. Endlich bemerkte es Bergen am Horizont und, da es nicht wusste, was es tun sollte, machte es sich auf den Weg in deren Richtung.

Nach einiger Zeit erblickte das Mädchen eine lange, dunkle Gestalt. Als es näher kam wurde es klar: die Gestalt war doch Menschen! Eine unbewegte Reihe im Sand, gebildet aus Frauen, Männer und Kinder, eine nach der anderen; eine Reihe, deren Ende das Mädchen beim besten Willen nicht sehen konnte. Es trat an die letzte Person in der Reihe heran und fragte sie: »Was macht ihr alle in der Wüste? Wartet ihr auf jemanden?«

Die Frau wandte sich an das Mädchen und antwortete, »Wir alle müssen durch die eiserne Tür, aber da wir nur Gemeinen sind, müssen wir geprüft werden«. »Wofür?« fragte das Mädchen. »Sie müssen sichern, dass die Pest nicht ins Reich hereingebracht wird«. »Habt ihr die Pest?« Die Frau atmete tief. »Niemand hier hat die Pest. Aber vor einem Jahr nahm der Drache unseren letzten Medizinmann. Einige Wochen später erkälteten meine Kinder sich. Starben beide. Leider nahm der Drache mich nicht mit«.

Das Mädchen war traurig. Sie hielt für einen Moment inne und dann fragte: »Wer muss sichern?« Die Frau nickte in Richtung des ferneren Endes der Reihe. Noch nicht sichtbar. Auf dem Weg erfuhr das Mädchen das Elend der gemeinen Leute: die einsamen Alten, die Verletzten, die weinenden, nach Brot fragenden Kinder. Nur einmal gingen drei Männer zu Pferde vorbei. Innerhalb einer Stunde kam es ans Ende der sich extrem langsam bewegenden Reihe heran. Vor ihm stand die eiserne Tür.
»Du! Mädchen! Du musst warten wie alle miese Ungeziefer hier!« schrie jemand. Das Mädchen wandte sich an der Stimme. »Zurück zum Ende!« schrie der ganz in olivgrün bekleidete Mann und griff nach seinem Schwert. »Aber warum denn? Die drei reitende Männer—wo gingen sie?« Er ließ der Waffe los und lachte. »Hör zu! Nur einmal erzähle ich dir worum es geht hier im Reich.«

 

(fortgesetzt in der dritten Ausgabe!)

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*